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Montag, 18. Juni 2012

Der kleine Junge

Vor zwei Jahren sind die Eltern eines kleinen Jungen, Hendrik, durch einen Autounfall ums Leben gekommen. Seitdem lebt er in einer kleinen Stadt, nahe eines Waldes, bei seinen Großeltern.
Hendrik war ein ausgeglichener kleiner Junge, der Spaß und Freude am Leben hatte, aber seit dem Unfall blockt Hendrik alles sofort ab. Er spricht nicht mehr und lässt niemanden an sich heran. Seine Großeltern versuchten aber auch keine Gespräche mit ihm über den Unfall zu führen, da sie zu dem Zeitpunkt selbst noch nicht in der Lage dazu waren.
 Eines Tages organisierten die Großeltern eine Feier, denn die Goldene Hochzeit von ihnen stand vor der Tür. Gäste müssen geladen werden und das Menü muss auch vorbereitet werden. Es ist so viel zu erledigen, dass sie gar nicht mitbekamen, was Hendrik machte. Während die Großeltern also die Feier organisierten, machte Hendrik sich es im Keller gemütlich,  denn dort war es sehr ruhig. Der Opa baute den Keller damals um, denn die Großeltern bekamen oft Besuch und brauchten somit ein Gästezimmer. Hendrik wurde das oben zu viel, er nahm das Bild seiner Eltern, holte sich ´was zu trinken und ein paar Snacks und ging jeden Nachmittag seit die Organisation der Feier in Gange war, hinunter. An jenem Nachmittag ging er in den Keller, öffnete die Tür, ging hinein und setzte sich auf das große Himmelbett, das in diesem Zimmer stand. Für ihn war es riesig, denn er war erst sechs Jahre alt und für sein Alter nicht gerade groß. Keine fünf Minuten später hörte Hendrik jemanden die Treppe runter kommen, er schluckte und sein Herz fing an immer schneller zu schlagen, denn seine Großeltern mochten es gar nicht, wenn er alleine in den Keller ging. Sie wollten das es dort unten sauber und aufgeräumt bleibt, weil sehr oft auch unangemeldete Gäste vor der Tür standen. Hendrik versteckte sich schnell, er wollte auf keinen Fall, dass seine Großeltern ihn hier unten finden.
 Hendrik verkroch sich zwischen einer Glasvitrine und einer großen Anbauwand. Die Tür des Schlafzimmers öffnete sich leicht, dann konnte Hendrik beobachten, wie seine Oma herein kam und den Wäscheschrank des Zimmers öffnete. "Ich kann es nicht glauben, was ich da sehe", flüsterte Hendrik vor sich hin. Seine Oma stieg in den Schrank, woraufhin sie eine weitere Tür öffnete. Sie stieg auch durch diese Tür und schloss sie wieder. Hendrik wurde neugierig, dachte eine Weile darüber nach, beschloss dann aber, hinterher zu gehen. Langsam und mit einem laut schlagendem Herzen ging er auf die Tür zu, öffnete sie und ging, wie seine Oma, durch diese Tür. Wieder flüsterte er, aber diesmal stotternd : "Ich... ich... ich Oooommmmaaaaaa."
 Hendrik sah einen riesigen Saal, in dem an den Wänden, um das ganze Zimmer herum, ein langer Tisch stand, auf dem Bilder mit ihm und seinen Eltern aufgestellt wurden. Davor waren Rosen platziert, mit jeweils einem blauen Band mit der Aufschrift Jasmin und Leon sowie in Liebe und aller Ewigkeit. Hendriks Oma saß davor und schwieg. Sie bemerkte Hendrik und reichte ihm die Hand. Sie bat ihn zu sich und sprach: "Mein Junge, ich muss dir ´was erklären." Hendrik sah seine Oma an und sprach seit dem Geschehen das erste Mal wieder so, dass es einer mitbekam. Er sagte, er wolle es nicht hören. Aber seine Oma erwiderte: "Manchmal ist es wichtig, darüber zu sprechen."
Sie erzählte Hendrik wie wichtig es sei, Gespräche zu führen, und sprach mit ihm noch stundenlang darüber; anschließend nahm sie ihn in den Arm.
 Zwei Monate später fing Hendrik langsam wieder an, Kontakt mit anderen Personen aufzunehmen, und auch auf der Feier sah man Hendrik wieder spielen und lachen. Und jedesmal, wenn er sich an seine Eltern erinnerte, ging er hinunter in den Keller, seinem Versteck und sprach zu seinen Eltern.

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